Freitag, 19. Juni 2009

Do Androids Dream Of Unicorns? - Blade Runner (Teil II)

Unserer gestriger Blogeintrag mit Fokus auf "Blade Runner" und Giuliana Brunos Essay "Postmoderne und Blade Runner" hat sich der grundsätzlichen Frage nach dem "Menschlichen" in diesem Film genähert. Heute wollen wir einen konkreteren und bereits häufig diskutierten Aspekt herausnehmen: Ist Deckard, der Protagonist des Films, ein Replikant oder ein Mensch?

Zunächst eine chronologische Analyse: Philip K. Dicks "Do Androids Dream Of Electric Sheep?" ist 1968 erschienen. Der Protagonist des Romans, Rick Deckard, ist ein Blade Runner, eine Art Kopfgeldjäger, dessen Aufgabe es ist Androiden zu töten. Im Buch gibt es keine Andeutungen darauf, dass Deckard selbst ein Replikant sein könnte. 
1982 erschien die filmische Adaption von Ridley Scott. Er und viele andere Beteiligten waren damit aus verschiedensten Gründen nicht zufrieden. Zehn Jahre später gab es endlich eine von Scott autorisierte Version: Im Director's Cut wurde das Voice Over des Protagonisten entfernt, das Happy End gestrichen, es gab noch einige kleine Veränderungen und Verbesserungen, doch die legendärste Erweiterung dieser Version ist eine kurze Szene, in der ein Einhorn durch einen Wald reitet. Diese ist als eine Art Tagtraum von Deckard gestaltet. Der "Sinn" dieser Szene wird gegen Ende erklärt: Gaff hinterlässt in Deckards Wohnung eine Origami-Figur, welche ein Einhorn darstellt. Dies deutet an, dass Gaff Deckards Gedanken kennt und somit erfährt das Publikum, dass der Blade Runner selbst kein Mensch ist.

Deckard findet eine Origami-Figur seines Tagtraumes in seiner Wohnung

So einfach ist die Deutung jedoch auch wieder nicht. Paul M. Sammon schildert in einem Kapitel in seinem Buch "Future Noir - The Making of Blade Runner" die Entstehung und Bedeutung der Einhorn-Szene. Dabei betont der Produzent und einer der Drehbuchautoren, dass die Einhornszene und somit die Assoziation, dass Deckard kein Mensch sei, eine Idee Ridley Scotts war:
"'That unicorn was Ridley's sole and personal obsession,' recalls Michael Deeley. 'No one ever quite got it.'
'I always rejected Deckard's dream of the live unicorn,' echoes Hampton Fancher. 'That was purely a Ridley concept.'" (Sammon 1996: S. 355)

Egal ob Fans oder Teammitglieder des Films: Manchen gefällt die Idee Deckard sei ein Replikant, andere finden es sinnlos. Selbst Hauptdarsteller Harrison Ford kann mit der Idee, dass sein Charakter ein Androide sein könnte, nichts anfangen: 
"'The biggest problem [I had with Blade Runner] was... at the end [...] Ridley wanted the audience to find out that Deckard was a replicant. I fought that because I felt the audience needed somebody to cheer for.'" (Samon 1996: S. 362)

Nichtsdestotrotz ist es eine Tatsache, dass spätestens ab dem Director's Cut eines klar ist: Deckard ist ein Replikant. 
Es wurde auch viel darüber debattiert warum Deckard gerade von einem Einhorn träumt. Von mythischen Interpretationen bis zu der Vermutung, es habe etwas mit Scotts darauf folgendem Film "Legend" zu tun (Vgl. Sammon 1996: S. 482) gibt es unterschiedliche Meinungen. Scott nimmt dazu jedoch in "Future Noir" in einem Interview mit dem Autor des Buches selbst Stellung:
"Yet I still, creatively speaking, had this blank space in my head in regards to what Deckard's dream at the piano was going to be all about. [...] I'd predetermined that unicorn scene would be the strongest clue that Deckard, this hunter of replicants, might actually be an artificial human himself. I did feel that this dream had to be vague, indirect. [...] Anyway, I eventually realized I had to think of an image that was so personal it could only belong to an individual's inner thoughts. And eventually it hit on a unicorn." (Sammon 1996: S. 482)

Der Regisseur meint also, dass es sich bei dem Protagonisten um einen Androiden handelt. Die Drehbuchautoren haben dies nicht vorgehabt. Der Hauptdarsteller hat dies auch nie so interpretiert. Und auch in Philip K. Dicks Vorlage gibt es keine Hinweise darauf, dass es so sein könnte. 

Diese eine Einhornszene ist immer wieder Grund zur Diskussion. Egal ob man nun die Kinoversion von 1982, den Director's Cut (1992) oder den Final Cut (2007) von "Blade Runner" bevorzugt und egal ob einem die Behauptung, Deckard sei ein Replikant, gefällt oder nicht: Tatsache ist jedoch, dass durch eben diese Diskussion abermals gezeigt wird wie eng die Grenzen zwischen Mensch und Maschine (bzw. hier Androide) in Philip K. Dicks Universum sein können. 

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Quellen:

Sammon, Paul M.: Future Noir -  The Making of Blade Runner, London 1996



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