Donnerstag, 18. Juni 2009

Zur Definition des Menschlichen - Blade Runner (Teil I)

Es kann wohl keine Diskussion, egal ob über Blogs oder über andere Medien, zur Thematik "Mensch/Maschine" im Bezug auf Philip K. Dick geben ohne dabei einen näheren Blick auf Ridley Scotts "Blade Runner" zu werfen. 

Der Blogeintrag vom 02.Juni hat sich bereits einwenig mit der literarischen Vorlage "Do Androids Dream Of Electric Sheep?" auseinandergesetzt. 
Es gibt einige inhaltliche Unterschiede zwischen "Do Androids..." und "Blade Runner". Die wahre Problematik einer Analyse besteht jedoch darin, dass es sieben Versionen des Films gibt. Der Unterschied zwischen der Kinofassung von 1982 und dem Director's Cut von 1992 ist gewaltig und bietet auch Möglichkeiten verschiedener Interpretationen (vor allem im Bezug auf die Frage ob Deckard, der Protagonist, ein Replikant sei - mehr dazu jedoch im zweiten Teil unseres "Blade Runner" Schwerpunkts). 

Die Filmwissenschaftlerin Giuliana Bruno hat sich in ihrem Essay "Postmoderne und Blade Runner" ebenfalls diesem Thema gewidmet:

"Die Replikanten sind perfekte 'skin jobs', sie sehen aus wie Menschen, sie reden wie Menschen, sie haben sogar Gefühle und Emotionen [...]. Was ihnen fehlt, ist eine Geschichte." (Bruno 2002: S. 65)

Replikanten werden von der Tyrell Corporation erschaffen, zuvor existieren sie nicht und: Sie haben ein "Ablaufdatum". 

Die Replikanten suchen nach ihren Ursprüngen. Rachael hat dabei Erfolg. Sie hat ein Foto bei sich, die sie in jungem Alter mit ihrer Mutter zeigt. Eine Mutter bedeutet eine Vergangenheit, mehr jedoch die Fotografie: 
"Die Geschichte ist hsysterisch: sie nimmt erst Gestalt an, wenn man sie betrachtet - und um sie zu betrachten, muß man ausgeschlossen sein. [...} Die Zeit, in der meine Mutter vor mir lebte, das ist für mich die Geschichte [...]. Keine Anamnese kann mich je diese Zeit, die vor meiner Existenz liegt, erahnen lassen [...] - während ich beim Betrachten eines Fotos, auf dem meine Mutter mich als Kind an sich drückt, die zerknitterte Zartheit des Crepes de Chine und den Duft des Reispuders in mir wachrufen kann." (Barthes 1980: S. 75)

Auch Roland Barthes also sieht die Fotografie als eine Art Schlüssel zur Vergangenheit.
Die Vergangenheit wird in "Blade Runner" zum Test für das "Menschliche" und das im wahrsten Sinne des Wortes. Durch die Voight-Kampff-Maschine finden die Blade Runner heraus, ob sie es mit einem Menschen oder einem Replikanten zu tun haben.

Voight-Kampff-Maschine

Dabei werden mehrere Fragen unterschiedlichster Natur gestellt. Laut Deckard dauert es im Schnitt 20 bis 30 Fragen bis man weiß, womit man es zu tun hat. Bei Rachael brauchte er über 100.

Giuliana Bruno schreibt weiters in ihrem Text zu dieser Thematik: 
"In ihrem Versuch, eine zeitlich fortdauernde Existenz zu erschaffen, suchen die Replikanten nach ihren Ursprüngen. Sie wollen wissen, wer sie "empfangen" hat, und sie erforschen ihre Identität und die Verbindung zu ihren Schöpfern. Die Route ist diejenige einer ödipalen Reise. [...] In dieser Spannung zwischen pre-ödipal und ödipal, zwischen dem Imaginären und dem Symbolischen, wird die Mutter zu einer Zerreißprobe im filmischen Text." (Bruno 2002: S. 73f)

Die Verbindung zwischen Mutter, Geschichte und Fotografie ist sowohl bei Barthes als auch in "Blade Runner" zu finden. Bruno bezeichnet die Fotografie und die Mutter als "missing link" (Vgl. Bruno 2002: S. 74) zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. 

Brunos Kernthese im Bezug auf das Medium Fotografie in "Blade Runner": 
"Replikanten verlassen sich auf die Fotografie wegen ihrer perversen Verwirrung, da sie den trügerischen Glauben und die Hoffnung erweckt, lebendig zu sein." (Bruno 2002: S. 75)

Typisch Philip K. Dick steht hier also hinter einer These bereits die nächste, die die vorhergehende verwirft oder zumindest in Frage stellt: Einerseits heißt es in "Blade Runner", dass der große Unterschied zwischen Mensch und Replikant die Geschichte ist, andererseits gibt es dann bereits Rachael, die zwar ein Replikant ist, jedoch eine Geschichte (zumindest ein Dokument dafür: die Fotografie) hat. Auch hier ist also trotz aller Andeutungen keine strikte, unanfechtbare Trennung zwischen Mensch und Replikant zu erkennen. 

Darüber denkt auch Deckard (in der Kinoversion, die einen Voice Over enthält) nach und wird somit unseren aktuellen Blogeintrag schließen: "I don't know why replicants would collect photos. Maybe they were like Rachael, they needed memories."


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Quellen:

Barthes, Roland: Die helle Kammer. Bemerkung zur Photographie [1980], Frankfurt 1989, S.75

Bruno, Giuliana: Ramble City - Postmoderne und Blade Runner. In: Jürgen Felix (Hrsg.): Die Postmoderne im Kino. Ein Reader, Marburg 2002, S. 65-79

Bild Voight Kampff Maschine: http://xirdal.lmu.de/xirdalium/xpix/voightkampffcloseup.png [Zugriff: 18.06.2009] 



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